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Texte Zur Kunst 48, 12/2002 Grauwerte für Praktiker Eine neue Nichtganz-Architekturzeitschrift Carsten Krohn In Berlin sind die ersten Ausgaben der neuen Zeitschrift "An Architektur" erschienen. Die Herausgeber - aus der Gruppe "Freies Fach" hervorgegangen - begreifen Architektur nicht nur als konkretes Planen und Bauen, sondern insbesondere als einen Diskurs. So definieren sie ihren Beitrag als architektonische Praxis, auch wenn sie nicht durch realisierte Bauten, sondern durch Aktionen, Ausstellungen und Vorträge hervorgetreten sind. In einer Diskussionsrunde über die Rolle der Architekturkritik sagte kürzlich der Chefredakteur einer Architekturzeitschrift, seine Publikation werde eher angeschaut denn gelesen - und er bezeichnete die Texte als "Grauwerte" im Layout.(1) Eine derartige Zeitschrift richte sich ausschließlich an Architekten, die wegen der hohen Anforderungen ihrer praktischen Arbeit keine Zeit zum Lesen fänden. Anhand von Grundrissen, Schnitten und Fotos könnten sie sich dagegen leicht darüber informieren, wie ihre Kollegen die Probleme lösen, mit denen sie sich selbst konfrontiert sehen. Vor diesem Hintergrund ist auffallend, dass die erste von drei zeitgleich erschienenen Ausgaben der neuen Zeitschrift An Architektur fast ausschließlich aus Texten besteht. Es wird "Material"(2) geliefert, das den Einstieg in einen politisch-philosophischen Diskurs über Architektur in einem erweiterten Sinn eröffnet. Die Herausgeber/innen - es fällt auf, dass es sich bei der Gruppe um ein Kollektiv handelt, denn keiner der Texte ist namentlich gekennzeichnet - betrachten ihre Tätigkeit jedoch nicht als Theorie, wie sie auf ihrer Homepage erklären. Dort heißt es in der manifestartigen Einführung: "An Architektur betreibt eine intervenierende Praxis". Als aktives Handeln betrachten sie die Untersuchung von Situationen, die der Umbau der Stadt mit sich bringt. Was dies konkret bedeutet, zeigt das neunköpfige Redaktionsteam in den folgenden Einzelheften, die sich jeweils einem bestimmten Thema widmen. Die beiden weiteren bisher erschienenen Ausgaben behandeln in sehr nüchternem, dabei doch "selbst produziert" wirkendem Layout ein Verbarrikadierungssystem, das leerstehende Häuser vor Besetzung schützen soll, sowie Sangatte, ein Flüchtlingslager in Frankreich. Letzteres Heft dokumentiert eine Industriehalle in der Nähe der Einfahrt des Eurotunnels. Hier haben über mehrere Jahre etwa 50000 Menschen gelebt, um auf einem illegalen und gefährlichen Weg nach Großbritannien zu migrieren. Angesichts der extremen Bedingungen, unter denen diese Menschen leben, erscheint die Gestaltung ihrer Wohncontainer irrelevant. An Architektur stellt die räumliche Situation des Komplexes dar und erläutert die Bedingungen seiner Entstehung. Die Herausgeber/innen heben hervor, dass die von ihnen analysierte räumliche Struktur des Flüchtlingslagers "der ästhetischen Euphorie der Mobilität grundsätzlich widerspricht"(3) - eine explizitere Rückbindung an derzeit geführte Auseinandersetzungen über Phänomen und Begriff des Lagers bleibt allerdings aus. Wie in den sechziger Jahren wird das Wohnen in mobilen Containern thematisiert, jedoch aus einer historischen und kritischen Perspektive. Auch wenn für die Planung und Realisierung derartiger Behausungen keine Architekten benötigt werden, hat sich der Architekturdiskurs seit langem mit dem Bauen für das Existenzminimum und der Veränderbarkeit von räumlichen Strukturen auseinander gesetzt. In den sechziger Jahren zeichneten junge Architekten Plug-in-Systeme, bei denen mobile Wohncontainer mit Kränen in Hallen gestellt oder an Gerüste gehängt werden sollten. Obwohl dieses radikale Prinzip damals als soziale Innovation propagiert wurde, ist eine allgemeine Akzeptanz eines derartigen Bausystems im Bereich des Wohnens auch heute nicht vorstellbar. Indem Architekturzeitschriften herausragende Leistungen präsentieren und mit ihnen bestimmte Positionen propagieren, üben sie Einfluss auf die Gestaltung der gebauten Umwelt aus. Nachdem eine Gruppe junger Architekten 1961 begonnen hatte, eine improvisiert - unprofessionelle Zeitschrift mit dem Namen Archigram herauszugeben, um ihre eigenen Projekte zu veröffentlichen, erlangte sie Weltruhm. Das erscheint heute nicht mehr möglich, da die Baupraxis kaum einen Gebrauch für "situationistische" Ansätze finden wird. Im Gegensatz zu Archigram begreift sich An Architektur in ihren Zielen jedoch als politisches Projekt. Auch wenn praktizierende Architekten mit Recht behaupten können, dass ihre eigenen Probleme vollkommen andere sind als die in dieser Zeitschrift thematisierten, ist eine stärkere Reflexion dessen, was die Angehörigen dieses Berufsstandes verursachen, tatsächlich wünschenswert . Das Dilemma junger Architekt/innen in der Zeit einer Rezession besteht darin, dass es kaum Möglichkeiten gibt, Eigenes hervorzubringen. Sofern sie nicht ausführen, was ältere Kolleg/innen entworfen haben, finden sie viel Zeit, um intensiv über Missstände der gebauten Umwelt nachzudenken, dies jedoch ohne Relevanz. An Architektur prangert nicht an, sondern dokumentiert. Diese scheinbare Neutralität erlaubt unterschiedliche Zugänge und Interpretationen. Während die Herausgeber /innen ein Interview mit dem Geschäftsführer einer Firma für mietbare Eigentumssicherungen in Beziehung zur Räumung besetzter Häuser setzen, berichtet dieser hingegen davon, wie er mit einem Denkmalpflegepreis ausgezeichnet wurde. Nun werden Architekt/innen, die mit gutem Recht eine reflektierte Praxis anstreben, also neue Ideen zur Verbesserung einer politisch verstandenen Umwelt entwickeln, diese umsetzen, aber auch aktiv an einem Diskurs teilnehmen wollen, um etwas gesellschaftlich Relevantes zu schaffen, in wirtschaftlichen Krisenzeiten, zumal, wenn sie sich als Dauerzustand einrichten, kaum gebraucht. Wenn also An Architektur im Kontext einer verbreiteten Orientierungslosigkeit möglicherweise Verwirrung stiftet, dann durchaus im positiven Sinne. An Architektur - Produktion und Gebrauch gebauter Umwelt, Nr. 01-03, Berlin 2002. Hrsg. v. Jesko Fezer, Anke Hagemann, Sabine Horlitz, Sabine Kühnast, Andreas Müller, Karin Pesch, Torsten Schröder, Fabian Schwade, Rochus Wiedemer. Vgl. www.anarchitektur.com. Anmerkungen: 1 Wolfgang Bachmann im Vitra Design Museum Berlin am 19. April 2002. 2 Henri Lefèbvre, "Die Produktion des städtischen Raums" (1975); Mark Gottdiener, "Ein Marx für unsere Zeit: Henri Lefèbvre und Die Produktion des Raumes" ( 1993) ; Stuart Elden, ",Es gibt eine Politik des Raumes, weil Raum politisch ist.' Henri Lefèbvre und die Produktion des Raumes" (1998/2002). 3 "Grenzgeografie Sangatte" , An Architektur, Nr. 03, S. 3. |