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Neue Zürcher Zeitung, 13.08.2003, Nr. 185, S. 43 Feuilleton Gian-Marco Jenatsch Klassenkämpferische Tradition Die neue Berliner Architekturzeitschrift "An Architektur" Im schwierigen verlegerischen Umfeld von heute erstaunt es, wenn eine neue Architekturzeitschrift wie "An Architektur" lanciert wird. Deren Programm klingt schon im Untertitel "Produktion und Gebrauch gebauter Umwelt" an; und das Redaktionskollektiv hält manifestartig fest, "An Architektur" setze sich mit Anlässen und Folgen von Bauwerken auseinander, trete für einen fortschrittlich gesellschaftskritischen Architekturbegriff ein, betreibe eine intervenierende Praxis, suche nach Möglichkeiten und Alternativen. Dieser politische Impetus ist in der Themenwahl erkennbar, deren Spektrum in den ersten Nummern aufgespannt wird: "Material zu: Lefèbvre, Die Produktion des Raumes" eröffnet den politisch-philosophischen Architekturdiskurs; "Grenzgeographie Sangatte" dokumentiert die Flüchtlingsproblematik anhand eines Auffanglagers in Calais, stellt die räumliche Situation des Komplexes dar und erläutert die Bedingungen seiner Entstehung; "Anti-Vandal. Mietbare Eigentumssicherung" beschreibt ein Verbarrikadierungssystem, das leer stehende Häuser vor Vandalismus schützen und beispielhaft für eine bestimmte Stadtentwicklung stehen soll. Weiter werden unter dem Titel "Krieg und die Produktion von Raum" aktuelle Themen wie die US Naval Base Guantánamo Bay oder die israelische Siedlungspolitik diskutiert. Oft eher angeschaut als gelesen, liefern viele der herkömmlichen Architekturzeitschriften mit Abbildungen und meist nur beschreibenden Texten schnelle Informationen zu konkreten Bauten und entwerferischen Themen. In "An Architektur" erfolgt eine spezifische Fokussierung auf politische und soziale Bedingungen von Architektur und Stadt sowie auf die Auswirkungen gebauter Umwelt und die darin angelegten gesellschaftlichen Vorstellungen. Gerade weil es heute im Bereich der Architektur etwas aus der Mode gekommen ist, auf politische oder soziale Fragen Bezug zu nehmen, überzeugt die Zeitschrift durch die Kombination von sachlich nüchternem Stil und inhaltlicher Brisanz. Architektur wird nicht nur als rein ästhetische Disziplin verstanden, sondern auch als Gesellschaftspolitik. Insofern ist "An Architektur" auch ein Phänomen der Stadt Berlin mit ihren unterschiedlichen Zeitebenen und Geschwindigkeiten, konkret in der Stadtgestalt wie auch intellektuell in der kapselartigen Ausbildung von Nischen, in denen einmal gefasste Überzeugungen jenseits aller Trends überleben können. So begegnet man in Berlin noch immer einer gewissen klassenkämpferischen Tradition, an deren Terminologie die Herausgeber von "An Architektur" anknüpfen. Der Diskurs über Raum und über den Gebrauch des Gebauten wird neben dem konkreten Planen und Bauen als Bestandteil der architektonischen Praxis verstanden. In einer Zeit der Dramatisierung des Objekts gewinnt diese inhaltliche Auseinandersetzung an Relevanz. Auch wenn sich Architektur schliesslich immer am Gebauten messen lassen muss, kann sie sich ihrer sozialen Verantwortung nicht entziehen. Eine vertiefte Reflexion hilft hier, das Bewusstsein einer Haltung zu stärken, die mit zu einem professionellen Selbstverständnis gehört. |