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Jungle World 17, 16. April 2003, S. 26

Aufbauende Zerstörung
Sechs neue Ausgaben der Zeitschrift An Architektur widmen sich dem Verhältnis von Krieg, Terror und Raum. von stefanie schlüter


Es mag Zufall gewesen sein, dass das Berliner Kollektiv An Architektur seine neuen Publikationen – gleich sechs schmale, nüchtern gestaltete Hefte zum Thema »Krieg und die Produktion von Raum« – am selben Tag veröffentlichte, an dem Daniel Libeskind den Zuschlag für die Neubebauung von Ground Zero erhielt. Während also in New York der wohl symbolträchtigste Architekturwettbewerb in der Geschichte des Bauens zu Ende ging, lenken die neuen An Architektur-Hefte den Blick weg vom offiziellen Diskurs um den zentralen Ort und hin auf vermeintlich abseitige Räume und Grenzbereiche von Terror und Krieg.

An Architektur ist aus der Gruppe freies fach hervorgegangen, die zwischen 1995 und 2000 mit ihren Innenstadtaktionen Aufsehen erregte. So z.B. mit der Gründungsaktion »Rückbau X«, bei der ein vorgezogener illegaler Abriss des ehemaligen DDR-Außenministeriums auf die Aggressivität der Diskussionen um den Abriss von Bauwerken der deutsch-deutschen Geschichte und der historischen Rekonstruktion der Stadtmitte aufmerksam machen sollte. Das freie fach setzte sich zusammen aus kritischen Architekturstudenten der UdK (damals noch HdK), die sich als Korrektiv zur Architekturausbildung an der Hochschule verstanden. Mit ihren Reflexionen über – und den Eingriffen in – das städtische Leben reagierte die Gruppe vor allem auf einen Mangel: Sie zog die im Studium vernachlässigte Verbindungslinie zwischen gebauter Umwelt und sozialen Kontexten und grenzte sich so von einem ästhetischen Konzept der Architektur als art pour l?art ab.

»I think that architects have been used in a way that they should avoid. I think that?s a shame.« Das Zitat auf der An Architektur-Homepage stammt von Peter Marcuse, der an der Columbia University in New York Stadtplanung lehrt. Es belegt die These, dass man keine reine Architektur betreiben kann. Architektur als die »öffentliche Kunst par excellence« (Wolfgang Welsch) sollte sich in der Verantwortung vor der Gesellschaft sehen und muss demnach soziale, politsche und ethische Fragen in ihre Planung einbeziehen.

Im Sommer des letzten Jahres traten die Herausgeber von An Architektur, deren Redaktion eine große personelle Schnittmenge mit dem freien fach aufweist, mit ihren ersten drei Heften an die Öffentlichkeit und markierten damit ihr Arbeitsgebiet: Theorie, Praxis, Politik. Bemerkenswert an den Publikationen ist die Art und Weise, in der verschiedene raumgebundene Themen zueinander in Beziehung gesetzt und damit neue Perspektiven eröffnet werden. In Form einer sparsam kommentierten Dokumentation kommen Querverbindungen zwischen einzelnen Themenheften zum Vorschein, sodass jede Ausgabe für sich ebenso wie alle zusammen als Beziehungsgeflecht von Denkansätzen funktionieren. Auch innerhalb eines Heftes lässt die Montage von unterschiedlichen Positionen Thesen aus dem vorliegenden Material entstehen.

So wird in der Publikation über Guantánamo Bay die historische Perspektive auf den US-Militärstützpunkt auf Cuba – heute Internierungslager für mutmaßliche al-Quaida-Kämpfer – einerseits durch Judith Butlers kulturtheoretisch ausgerichtete, andererseits durch die juristische Perspektive des Lawyers Committee for Human Rights ergänzt. In der Kombination zeigt sich, wie Fragen der Raumorganisation mit denen des (Menschen-) Rechts korrelieren. In Guantánamo Bay erleben wir derzeit die Bildung und Etablierung eines parallelen Rechtssystems auf exterritorialem Gebiet der USA; eine Aushebelung von Rechten, die in den Genfer Konventionen für Kriegsgefangene festgeschrieben sind, mit der Begründung durch die USA, dass »wir uns bereits außerhalb der Parameter des konventionellen Krieges befinden« (Butler).

Das Thema, unter dem die Publikationen zusammengefasst sind, zieht sich durch alle sechs Hefte und die vorgestellten Schauplätze. Der Komplex schließt in sich die dialektische Figur von Produktion und Destruktion ein und verweist damit auf das teilweise verdrängte Verhältnis zwischen Architektur und Krieg. Seit etwa zwei Jahrhunderten versteht sich Architektur nicht mehr primär als Kriegsbaukunst, deren Aufgabe die Gestaltung von Festungsanlagen ist und der damit die primäre Funktion der (Städte-) Sicherung zukommt; stattdessen widmet sie sich spätestens seit dem 20. Jahrhundert im Wesentlichen ästhetischen, funktionalistischen und sozialen Ideen.

Eine Rückblende auf das ursprüngliche Verhältnis von Architektur und Krieg bringt nicht allein die Rolle zum Vorschein, die Architektur beim Wiederaufbau zerstörter Städte spielt. Auch im gegenwärtigen Sicherheitsdiskurs wird dieses Verhältnis wieder enger geknüpft, etwa durch einen wiederkehrenden Trend zur Festungsarchitektur. So bringt die Angst vor Terroranschlägen – wie das Themenheft über Mission Critical Facilities exemplarisch zeigt – nicht erst seit dem 11. September 2002 Räume hervor, deren bauliche Gestaltung sich einzig nach ihrer Funktion als Hochsicherheitskomplexe richtet. Bei Mission Critical Facilities handelt es sich um einen Gebäudetyp, der dem Primat der Sicherheit untersteht und die aus mittleren und großen Unternehmen ausgelagerten Computeranlagen beherbergt. Ziel einer solchen Bauweise, die im Vorhinein auf die mögliche Katastrophe reagieren will, ist es, »unter allen Umständen den Betrieb aufrechtzuerhalten und dadurch eine Kontinuität der Geschäftsvorgänge zu gewährleisten« (An Architektur). Dass (städte-) bauliche Entwicklungen dieser Art aufs Engste verknüpft sind mit der Logik des Kapitalismus, darauf weist nicht zuletzt das der Publikation vorangestellte Zitat von Peter Marcuse hin: »Die Beschwörung der Angst vor Terrorismus wird dazu benutzt, eine weiter gehende gestalterische und räumliche Entwicklung voranzutreiben, die in jeder Hinsicht durch das Kapital erwünscht ist.«

Der Filmemacher Heinz Emigholz bringt in seinen Reflexionen zum Krieg die Dialektik von Produktion und Destruktion auf den Punkt, wenn er in seinem jüngsten Buch »Das schwarze Schamquadrat« schreibt: »Der Krieg erforscht wissenschaftlich experimentell alle Bedingungen des Lebens, um sie so langfristig wie möglich zu zerstören.« Mit dem (Wieder-) Eintritt der Architektur in militärische Bereiche schlägt eine sich selbst als konstruktiv definierende Kunst in ihr Gegenteil um, wie die Arbeit der israelischen Architekten Eyal Weizman und Rafi Segal und der Menschenrechtsgruppe B?Tselem über räumliche Analysen der israelischen Siedlungspolitik zeigt. Weizman liefert einen Beitrag zu der Frage, inwiefern die Architektur ein Mittel zur Kontrolle des Raumes ist und »wie Menschenrechtsverletzungen hier das Ergebnis eines langen Planungs- und Bauprozesses« sind. Das Entwerfen mit der Absicht, Land einzunehmen, bestehende Siedlungen zu stören und zu ersticken, kommt Weizmann zufolge einem gewalttätigen Akt gleich, in dem der Zeichenstift des Architekten zur Waffe geworden ist. Es scheint, dass sich hier das Zivile und das Militärische nicht mehr trennen lassen.

Es war nicht voraussehbar, dass An Architektur ihre Publikationen so kurz vor dem Ausbruch des Irakkrieges herausbringen würden. Absehbar ist allerdings schon jetzt, dass sich vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse Stoff für weitere Ausgaben finden ließe. Denn der Irakkrieg zeigt, dass die räumliche Logik von Kriegs-, Krisen- und Ausnahmezuständen nicht auf einzelne Schauplätze beschränkt bleibt, da eine mögliche Verschiebung auf weitere Territorien in der Strategie bereits mitgedacht ist. Zerstören, um wieder aufzubauen, diese Logik ist selten so offensiv vertreten worden wie in diesen Tagen.

An Architektur gibt es in ausgewählten Buchhandlungen. Infos unter www.anarchitektur.com



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