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17 Material zu Manuel Castells: The City and the Grassroots
„The City and the Grassroots“ analysiert Entwicklungen und Veränderungen der Stadt als Ergebnis eines konflikthaften Prozesses städtischer sozialer Bewegungen. Manuel Castells führt die Kämpfe lokaler Protestgruppierungen, Bürgerinitiativen, alternativer Communities und basisdemokratischer Bewegungen als Produktivkraft städtischen Wandels in die Stadtforschung ein. Auf dem Boden einer marxistischen Betrachtung der Stadt errichtet er ein offenes und anschlussfähiges Modell von gebauter Umwelt als Kreuzungspunkt gesellschaftlicher Kämpfe.
Ergänzend zu An Architektur 16 und 17 erscheint das Interviewheft:
Steinbrüche der Theoriebildung. Manuel Castells, David Harvey und die Widerstände in der kapitalistischen Stadt.
Ein E-Mail Gespräch zwischen Regina Bittner, Jürgen Essletzbichler, Roger Keil, Margit Mayer und Christian Schmid sowie Manuel Castells und David Harvey.
Manuel Castells irritiert uns als LeserInnen und ÜbersetzerInnen seines Buches „The City and the Grassroots“ gleich doppelt. Nachdem er zunächst auf eine aufschlussreiche Reise durch die Dynamiken, Konflikte und Vielfältigkeiten sozialer städtischer Bewegungen um den halben Globus einlädt und materialreich das kollektive menschliche Handeln als formende Kraft gebauter Umwelten vorstellt, schließt er seine Arbeit recht harsch mit der Ansage, dass diese Bewegungen ausschließlich reaktiven Charakter haben. Ihr Handeln und Denken sei weder im Maßstab noch in den Begrifflichkeiten der Aufgabe angemessen. Beinahe resigniert fragt er: „Warum beharren die Menschen darauf, lokale Ziele anzupeilen statt sich die richtigen auszusuchen?“[1] Und als ob das nicht bereits genüge, stellt er die Möglichkeiten lokal basierten Widerstands und der Produktion alternativer Räume in seinen Schriften zur Informationsgesellschaft der 1990er Jahre noch deutlicher in Abrede, indem er ihnen im globalisierten Kontext sein Konzept des „Space of Flows“ gegenüberstellt.
Natürlich hängt Castells die Messlatte extrem hoch, wenn er städtische soziale Bewegungen nach ihrem Potenzial bewertet, „Vermittler eines strukturellen sozialen Wandels“ im ganz großen Sinn zu sein einer gesamtgesellschaftlichen Revolution im weitesten Sinne. Es wundert kaum, dass im Hinblick auf dieses Ziel schon vor fünfundzwanzig Jahren die Beurteilung nur verhalten optimistisch ausfallen konnte. Abgesehen von dieser Überforderung des Gegenstands aber bietet sein Buch noch weitere Lesarten. Castells entwickelt darin nämlich über die Analyse von als städtischen Bewegungen definierten lokalen Protestgruppen und Bürgerinitiativen „bescheidene aber effektive Strategien der Theoriebildung“[2] für eine Untersuchung der Stadt und der städtischen Gesellschaften. Entgegen der vorherrschenden städtischen Ideologie, die die Ursächlichkeit der sozialen Effekte in der Struktur der bestehenden räumlichen Formen sucht, fragt er danach, wie und durch wen eine Stadt überhaupt produziert wird. Er verbindet dabei sehr anschaulich die Communidades de Castilla des 16. Jahrhunderts mit der Pariser Commune von 1872, den Mietstreik in Glasgow von 1916, die 1960er-Jahre-Revolten in den amerikanischen Innenstädten mit der Gay Community und der Mission Coalition in San Francisco, den Squatter-Bewegungen in Lateinamerika, der Bürgerbewegung in Madrid und den Hausbesetzern in Berlin und Amsterdam seiner Zeit. Alle diese von ihm als städtische soziale Bewegungen gekennzeichneten Kämpfe um die Stadt werden durch die Frage nach der städtischen Bedeutung und ihrem Verhältnis zur Macht miteinander verknüpft.
Unser Interesse an diesem Text bezieht sich insbesondere auf die Grundannahme von Castells, Entwicklungen und Veränderungen der Stadt als Ergebnis eines konflikthaften Prozesses städtischer sozialer Bewegungen zu analysieren. Besondere Aufmerksamkeit verdient dabei seine Bewertung von durchaus reaktiven Kämpfen um Einfluss und Selbstbehauptung, um ethnische Identität oder sexuelle Orientierung, um Umverteilung von Ressourcen, gemeinschaftliche Kultur und lokale Lebensqualität als die Produktivkraft städtischen Wandels. Auf dem Boden einer marxistischen Betrachtung der Stadt errichtet Castells ein offenes und anschlussfähiges Modell von gebauter Umwelt als Kreuzungspunkt gesellschaftlicher Konflikte.
Für das vorliegende Heft haben wir die aus unserer Sicht zum Verständnis seiner Analyse und Theorie wesentlichen Kapitel des Buches erstmals ins Deutsche übersetzt.
[1] Siehe diese Ausgabe An Architektur, Seite 26
[2] ebenda, Seite 10
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